Über Joseph Haydn

Joseph Haydn (1732–1809) gilt als Begründer der „Wiener Klassik“, obwohl er viele Jahre seines Lebens in Ungarn verbrachte und seine größten Triumphe in London feierte. Haydn schuf eine revolutionäre Tonsprache, in der die Instrumentalmusik der Vokalmusik dank ihrer Ausdrucksstärke und geistreichen Intelligenz gleichberechtigt zur Seite trat: Seine Sonaten, Quartette und Sinfonien wurden ihm von Verlegern in ganz Europa förmlich aus den Händen gerissen. Haydn, der zeitlebens bescheidene Sohn eines Wagenmachers, sagte von sich selbst, sein Beispiel zeige, wie „aus nichts etwas werden“ könne. Und oft entwickelt sich auch in seiner Musik aus einem unscheinbaren Motiv eine wundersame Klang-Rede.

  • Kindheit und Jugend (1732–1749)

    Franz Joseph Haydn wurde am 31. März 1732 im kleinen niederösterreichischen Ort Rohrau nahe der ungarischen Grenze als Sohn des Wagnermeisters Matthias und dessen Gattin Anna Maria geboren. Joseph war das zweite ihrer 12 Kinder, Johann Michael (1737–1806), der ebenfalls Komponist werden sollte, war das sechste Kind. Die ersten musikalischen Eindrücke empfing der junge Haydn vom häuslichen Musizieren seines Vaters, «ein von Natur aus großer Liebhaber der Musik». Bereits im fünften Lebensjahr wurde Joseph nach Hainburg zu einem entfernten Verwandten namens Johann Matthias Franck gebracht, der dem Knaben ersten musikalischen Unterricht erteilte.

    Georg Reutter der Jüngere (1708–1772), der 1738 zum Nachfolger seines Vaters als Kapellmeister am Wiener Stephansdom berufen worden war, befand sich auf der Suche nach begabten Sängerknaben, als er vermutlich im Jahre 1739 in Hainburg beim Stadtpfarrer zu Besuch war. Bei dieser Gelegenheit ließ er sich vom jungen Haydn vorsingen und erkannte sein musikalisches Talent. Im Alter von acht Jahren wurde Joseph ins Kapellhaus bei St. Stephan in Wien als Chorknabe aufgenommen. Neben einem sehr «nothdürftigen Unterricht» in den allgemeinbildenden Fächern erhielt Haydn eine Gesangsausbildung sowie Klavier- und Violinstunden.

    In unmittelbarer Nähe des Wiener Stephansdoms, zwischen einem vierstöckigen Mietshaus und der Magdalenenkapelle, befand sich das Haus des Kapellmeisters Reutter, in dem Haydn und weitere fünf Chorknaben wohnten. Wien, die Hauptstadt des großen Habsburgischen Reiches, war seit Generationen das Zentrum einer wichtigen musikalischen Tradition: am Hofe Kaiser Karls VI. erlebte die Musik mit den beiden bedeutendsten Vertretern des Spätbarock, Johann Joseph Fux (1660–1741) und Antonio Caldara (1670–1736), eine Hochblüte. 1749/50 kam das Ende von Haydns Sängerknabenzeit, da seine Stimme brach und er wegen einer angeblichen Ungezogenheit aus dem Konvikt entlassen wurde.

  • Lehrjahre und 1. Anstellung (1750–1761)

    Joseph Haydn war nach seinem Hinauswurf aus dem Kapellhaus ohne Unterkunft und Einkommen. 1751 fand er ein armseliges, unbeheiztes Dachstübchen im sogenannten Michaelerhaus, das noch heute neben der St. Michaelskirche gegenüber der Hofburg steht. In den folgenden Jahren lebte Haydn vor allem vom Stundengeben und Korrepetieren. Für jährlich 60 Gulden wurde er Vorspieler bei den Barmherzigen Brüdern in der Leopoldstadt, wo er jeden Sonn- und Feiertag um acht Uhr morgens die Messe spielte. Um zehn Uhr spielte er in der gräflich Haugwitz'schen Kapelle, und um 11 Uhr sang er in der Stephanskirche für 17 Kreuzer eine Messe.

    Im Michaelerhaus in Wien wohnten zwei Persönlichkeiten, die maßgeblich an Haydns künstlerischem Werdegang beteiligt waren: der Hofdichter Pietro Metastasio (1698–1782), bei dem Haydn den Umgang mit der italienische Sprache lernte, und der Opernkomponist und Gesangslehrer Nicola Antonio Porpora (1686–1768). Haydn durfte Porporas Gesangsschüler am Klavier begleiten und war zeitweilig auch sein Kammerdiener. Er bekannte gegenüber seinem Biographen Griesinger, dass er «bey Porpora im Gesange, in der Komposition und in der italienischen Sprache sehr viel profitirte». Im ersten Stock des Michaelerhauses lebte damals die verwitwete Fürstin Maria Octavia Esterházy (1683–1762), die Mutter der Fürsten Paul Anton und Nikolaus, deren Kapellmeister Joseph Haydn später sein sollte.

    Für Baron Karl Joseph von Fürnberg schrieb Haydn seine ersten Streichquartette, die sehr schnell populär wurden. Es waren die ersten Werke, die im Ausland (Paris 1764) gedruckt wurden – allerdings ohne Wissen des Komponisten. Die Aufenthalte Haydns in Weinzierl, wo Baron Fürnberg ein Schloss besaß, und die frühen Streichquartette stellen den Auftakt zu seiner Anstellung als Musikdirektor bei den Grafen Morzin dar. Um 1757 wurde Haydn vermutlich von Karl Joseph Franz (1717-1783/84?), Sohn des regierenden Grafen Ferdinand Maximilian Franz (1693–1763) für ein jährliche Gehalt von 200 Gulden sowie Kost und Quartier als Kapellmeister angestellt. Unter den Kompositionen, die für die Grafen Morzin geschrieben worden sind, finden sich neben Haydns ersten Sinfonien auch einige Divertimenti für Bläser, meist für zwei Oboen, Hörner und Fagotte. Am 26. November 1760 heiratete Haydn die älteste Tochter des Wiener Perückenmachers Keller, Maria Anna Aloysia (1729–1800). Haydn dürfte zuvor in die jüngste Tochter Therese verliebt gewesen sein, die jedoch ins Kloster ging. Die Trauung mit Maria Anna fand im Wiener Stephansdom statt. Die Ehe Haydns war unglücklich: «Mein Weib war unfähig zum Kindergebären, und daher war ich auch gegen die Reize anderer Frauenzimmer weniger gleichgültig», lautet einer der wenigen Kommentare Haydns über sein Eheleben. Über Frau Haydn wissen die Biographen Griesinger und Dies nichts Gutes zu berichten: sie soll ungebildet, ohne Verständnis für die Genialität ihres Mannes und verschwenderisch gewesen sein.

  • Frühe Esterházy Periode (1761–1780)

    Eisenstadt 1761–1766

    Nachdem die Familie Morzin in finanzielle Schwierigkeiten geraten war und ihre Musiker entlassen musste, fand Joseph Haydn beim Fürsten Esterházy schnell einen neuen Dienstherrn.

    Als Joseph Haydn 1761 seinen Dienst antrat, war die kleine Barockstadt Eisenstadt am Westufer des Neusiedlersees der ständige Wohnsitz der Fürsten Esterházy. Haydn bezog eine Mietwohnung, ehe er sich 1766 ein eigenes Haus in der Nähe des Franziskanerklosters kaufte.

    Haydns neuer Dienstherr ab dem Jahr 1761 war Fürst Paul Anton I. Esterházy (1711–1762), der wie seine Vorfahren musikliebend war. Die Familie Esterházy war eine der reichsten und mächtigsten der österreichisch-ungarischen Monarchie. Sie besaß neben mehreren Palais in Wien Schlösser in ganz Ungarn und im heutigen Burgenland. Die Esterházy lebten prunkvoll und regierten wie Souveräne über ihr Fürstentum. In Eisenstadt begann ein wichtiger Abschnitt in Haydns Leben: «...allwo ich zu leben und zu sterben mir wünsche», schrieb Haydn in einem Brief vom 6. Juli 1776. Zu den ersten Kompositionen, die er in seiner neuen Position verfasste gehören die sog. Tageszeiten-Sinfonien «Le Matin», «Le Midi» und «Le Soir» (Hob. I:6-8), denen bis 1766 zwanzig weitere gattungsgleiche Werke folgen sollten.

    Haydns Vertrag mit Fürst Paul Anton I. Esterházy stammt vom 1. Mai 1761. Als Haydn seine Tätigkeit in Eisenstadt begann, wurde er vorerst als «Vice-Kapellmeister» angestellt, da der in hohem Alter stehende und kränkliche Georg Joseph Werner (1693–1766) offiziell noch Leiter der fürstlichen Kapelle war. Haydns Kontrakt verpflichtete ihn, sich angemessen zu verhalten und zu kleiden, ferner ein Beispiel für seine ihm untergeordneten Musiker zu sein und Musik auf Verlangen des Fürsten zu komponieren. Seine Aufgaben reichten von der Pflege der Instrumente und der Archivierung des Notenmaterials bis zum Unterrichten, Komponieren und Konzertieren. Fürst Paul Anton I. Esterházy, der im Schlosspark ein Glashaus in ein Theater umgestalten ließ, starb am 18. März 1762.

    Fürst Nikolaus I. Esterházy (1714–1790) trat am 17. Mai 1762 das Erbe seines Bruders Paul Anton an. Er wurde Haydns Gönner und Dienstherr für beinahe 30 Jahre. Der Beiname «Der Prachtliebende» weist darauf hin, dass er gerne Summen an Geld für große Feste und besondere Feierlichkeiten bereitstellte – der Dichter Johann Wolfgang von Goethe schrieb 1811 im ersten Band seiner Lebenserinnerungen vom «Esterházyschen Feenreich». In vielerlei Hinsicht war Nikolaus I. ein vorbildlicher Mäzen. Unter seiner Herrschaft stieg Haydn zum drittbest bezahlten «Hausoffizier» der fürstlichen Familie auf. Von jenem hohen Ansehen, das Haydn unter Nikolaus I. genoss, sagte dieser später: «Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden, ich erhielt Beyfall (...) ich war von der Welt abgesondert (...) und so mußte ich original werden.» (Griesinger)

    Des Fürsten Lieblingsinstrument war das Baryton, das er selbst spielte, und ein dem der Gambe als auch dem Cello ähnliches Instrument, das nicht nur Saiten zum Streichen, sondern hinter dem Griffbrett auch solche zum Zupfen hat. Haydn komponierte u. a. 125 Divertimenti für Baryton, Viola und Cello, ebenso zahlreiche Duette und Ensemblemusik mit dem Fürsten zugedachten Solopartien. Nach dem Tod des Kapellmeisters Georg Joseph Werner im Jahre 1766 übernahm Haydn die volle musikalische Verantwortung.

    Nachdem Joseph Haydn nun Erster Kapellmeister geworden war, erwarb er in Eisenstadt um 1000 Gulden ein kleines Haus nahe dem Franziskanerkloster. Zweimal sollte das Haus abbrennen, aber stets ließ es Fürst Nikolaus auf seine Kosten wieder aufbauen – ein zusätzlicher Beweis dafür, wie sehr er seinen Kapellmeister schätzte. Haydn seinerseits «schwor dem Fürsten, ihm so lange zu dienen, bis der Tod über dessen Leben oder über sein eigenes entscheiden würde.» (Dies). 1778 verkaufte Haydn das Haus. Seit 1935 ist dort ein Haydn-Museum untergebracht.

     

    Eszterház I (1766–1775)

    In der Nähe des südöstlichen Ufers des Neusiedlersees besaßen die Fürsten Esterházy ein kleines Jagdschloss, das nach dem nahegelegenen Ort Süttör benannt war. Fürst Nikolaus I. hatte eine besondere Vorliebe für diesen Ort und so beschloss er, dieses Gebäude in eine prächtige Sommerresidenz, die später «Eszterház» genannt werden sollte, zu verwandeln. Inmitten eines sumpfigen Seewinkels ein «ungarisches Versailles» zu errichten, dessen Anlage ein Opernhaus, ein Marionettentheater sowie zahlreiche Nebengebäude umfassen sollte und selbigen Ort zu einem Kulturzentrum von europäischem Rang zu erheben, zählt zweifelsohne zu den größten Errungenschaften der so bedeutenden westungarischen Magnatenfamilie. Um 1766/67 wurde Eszterház zunächst in den Sommermonaten, später den größten Teil des Jahres über zum Zentrum der Tätigkeit Haydns.

    Haydns erste für den Esterházyschen Hof geschriebene Oper «Acide» wurde 1763 anlässlich der Hochzeit des ältesten Sohnes des Fürsten Nikolaus noch in Eisenstadt aufgeführt, wie auch «La canterina» (1766). Nach der Übersiedlung des Hofes nach Eszterház wandte sich Haydn mit «Lo speziale» (1768) und «Le pescatrici» (1770) erneut der Oper, aber auch dem Schauspiel zu, das zu Eszterház alljährlich durch eigens verpflichtete Theatertruppen veranstaltet wurde. Von besonderer Bedeutung für die Produktion Haydns eigener Bühnenwerke – ob diese nun der Gattung Oper, darunter «L’incontro improvviso», oder auch der Schauspielmusik, wie etwa diejenigen zu «Die Jagdlust Heinrich des Vierten» (Collé) oder «Der Zerstreute» (Regnard), angehörten – waren die großen Hoffeste der Jahre 1772, 1773 und 1775. Unter diesen wiederum nahm der Besuch von Maria Theresia im September 1773 eine herausragende Stellung ein, durfte die Monarchin in dessen Verlauf doch zwei neue haydn’sche Bühnenwerke erleben: «L’infedeltà delusa», eine Burletta per musica sowie «Philemon und Baucis», eine Marionettenoper.

    Haydns zunehmende Hinwendung zum Theater, die für die Jahre ab 1766 zu verzeichnen ist, wirkte sich in stilistischer Hinsicht auch auf andere Bereiche seines kompositorischen Schaffens aus, insbesondere das der Sinfonie. Hier folgte, auf eine Reihe von «Unterhaltungssinfonien» (1765–1768), die sogenannte «Sturm und Drang-Periode» des Komponisten (1768–1772), die wiederum nahtlos in eine von allgemein theatralischer Qualität (ab 1773) überging. Zudem gestaltete Haydn mehrere in diesen Jahren entstandene Schauspielmusiken in unmittelbarer wie auch in späterer Folge zu Konzertsinfonien um (darunter Nr. 28, 65, 60 und 67).

  • Mittlere Esterházy Periode (1776–1790)

    Eszterház II (1776–1784)

    Ab dem Jahr 1776 standen auf dem Spielplan des Fürsten allabendlich Opern- und Theateraufführungen: allein in der Zeit von 1780 bis 1790 leitete Haydn über 1000 Opernvorstellungen. Von den insgesamt 78 bis zum Jahr 1784 gespielten Opern stammten sechs von Joseph Haydn («Il mondo della luna» (1777), «L’isola disabitata» und «La vera costanza» (1779), «La fedeltà premiata» (1781), «Orlando paladino» (1782) und «Armida» (1784)). Der damit verbundene Betrieb beanspruchte Haydn jedenfalls sehr.

    Am 14. Mai 1780 erhielt Haydn eine erste große Auszeichnung aus dem Ausland: die Philharmonische Akademie in Modena ernannte ihn zum Ehrenmitglied. Im Dezember 1781 erteilte Haydn in Wien Maria Feodorowna von Russland, der Gemahlin des Großfürsten und späteren Zaren Paul I., Musikunterricht. Seine zuvor entstandenen, später als Opus 33 berühmt gewordenen Streichquartette, sind unter anderem dem Großfürsten gewidmet und tragen daher den Namen «Russische Quartette».

    Ermuntert durch sein merklich gewachsenes internationales Renommee, begann Haydn sich mit seinen Kompositionen vornehmlich an ein öffentliches Publikum zu wenden, bzw. sich vermehrt an den Bedürfnissen des Musikalienmarkts zu orientieren (der Entfall der fürstlichen Exklusivitätsklausel in seinem 1779 erneuerten Dienstvertrag steuerte die entsprechende rechtliche Grundlage bei). So entstanden etwa im Bereich der Sinfonie zwei für den Druck bestimmte Serien von je drei Werken, deren Zusammengehörigkeit durch Aspekte der Wahl von Tonart und Tongeschlecht angezeigt ist: Nr. 76, 77 und 78 von 1782 sowie Nr. 80, 81 und 79 von 1784. Auch Haydns Beziehungen zu England begannen sich zu intensivieren, nachdem 1782 erste Versuche unternommen wurden, ihn nach London einzuladen.

    Im Jahr 1784 wurden die seit über zwanzig Jahre andauernden Bautätigkeiten zu Eszterház für beendet erklärt. Der alsbald zu bemerkende Rückgang bei den von Fürst Nikolaus I. veranstalteten, einst so prachtvoll gefeierten Hoffesten zeigte auch Auswirkungen auf das kompositorische Schaffen seines Kapellmeisters: Am 26. Februar 1784 ging mit «Armida», die Premiere von Haydns letzter für Eszterház komponierten Oper über die Bühne.

     

    Eszterház III (1785–1790)

    Im gleichen Maße wie Haydns Dienstherr die letzten Jahre seines Lebens zu Eszterház in zunehmender Zurückgezogenheit verbrachte, versuchte Haydn dieser bei jeder sich ihm nur bietenden Gelegenheit zu entkommen – auch wenn es dazu aufgrund seiner nach wie vor ausgesprochen zeitraubenden Hauptbeschäftigung als Opernimpresario nicht sonderlich viele gab. Die Freimaurerbewegung etwa, die während der Regierungszeit Kaiser Josephs II. (1780–1790) in den gebildeten Kreisen an Beliebtheit gewann, hatte auch Haydns Interesse erweckt. So wurde er am 11. Februar 1785 in die Wiener Loge «Zur wahren Eintracht» aufgenommen. Einen Tag nach diesem Ereignis fand in der Wohnung von Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) ein Privatkonzert statt, bei dem die Joseph Haydn gewidmeten neuen Streichquartette des Salzburgers zur Aufführung kamen. Leopold Mozart schrieb über dieses Konzert an seine Tochter folgendes berühmte Zitat: «[...] H. Haydn sagte mir: ich sage ihnen vor gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und den Nahmen nach kenne: er hat geschmack, und über das die größte Compositionswissenschaft.»

    Für zusätzlichen Aufwind sorgten bedeutende Kompositionsaufträge, die Haydn aus verschiedenen europäischen Ländern erreichten. Aus der spanischen Stadt Cadiz stammte zum Beispiel die Bestellung der Orchesterkomposition «Die Sieben Worte des Erlösers am Kreuze» (1786). Die «Pariser Sinfonien» (Nr. 82-87, 1785–1786) sowie die Sinfonien Nr. 88-92 (1787–1789) verdankten ihre Entstehung Claude-François-Marie Rigoley Comte d’Ogny (1757–1790), einem der Initiatoren der «Concerts de la Loge Olympique» und einer führenden Persönlichkeit des Freimaurertums seiner Nation.

    Im Juni 1789 erhielt Joseph Haydn einen Brief, der das Fundament zu einer in ihrem Charakter einzigartigen Freundschaft legte. Marianne von Genzinger (1750–1793), die Frau von Fürst Nikolaus’ Wiener Leibarzt, sandte ihm einen Klavierauszug, den sie von einem Andante aus einer seiner Sinfonien angefertigt hatte. Mit der Bitte um Korrekturen und der geäußerten Hoffnung, Haydn bald in Wien zu sehen, begann ein langer Briefwechsel, der uns einen Einblick in Haydns Persönlichkeit eröffnet. Die Bewunderung der um 18 Jahre jüngeren, ausgesprochen gebildeten Frau von Genzinger bewegte Haydn dazu, ihr seine innersten Gefühle zu offenbaren und vor allem sein Bedürfnis nach Verständnis für seine Einsamkeit in Eszterház zu äußern.

    Am 28. September 1790 starb Fürst Nikolaus I. der «Prachtliebende». Mit seinem Tode ging eine Epoche musikalischer Weltgeschichte zu Ende. Fürst Paul Anton II. (1738–1794), Sohn und Nachfolger Nikolaus I., war weitaus weniger musikinteressiert und entließ innerhalb weniger Tage das Orchester und die Sänger. Nur Haydn und der Konzertmeister Luigi Tomasini blieben als einzige formell in fürstlichen Diensten. Mit einer jährlichen Pension von 1000 Gulden ausgestattet, führte Haydn weiterhin seinen Kapellmeistertitel, obwohl er keinerlei Verpflichtungen gegenüber Fürst Paul Anton mehr hatte.

  • England-Reisen (1791–1795)

    «Ich bin Salomon aus London und komme, Sie abzuholen; morgen werden wir einen Akkord schließen», so schilderte Haydn seinem Biographen Albert Christoph Dies jenen entscheidenden Augenblick, der den Beginn seiner Englandreisen darstellte. Für die beträchtliche Summe von 5000 Gulden verpflichtete sich Haydn, eine italienische Oper, sechs neue Sinfonien sowie eine Reihe weiterer Stücke zu komponieren und diese in Konzerten unter seiner eigenen Leitung aufzuführen. Johann Peter Salomon (1745–1815), der in Bonn gebürtige berühmte Violinist und erfolgreiche Konzertmanager, benachrichtigte umgehend das englische Publikum von Haydns baldiger Ankunft. Auf Mozarts Bedenken, dass er nicht einmal Englisch spreche, erwiderte Haydn: «Meine Sprache versteht man durch die ganze Welt!» (Dies)

    Am 1. Januar 1791 betrat Joseph Haydn nach einer beschwerlichen Reise über München – Öttingen-Wallerstein – Bonn – Calais englischen Boden. Sieben Tage später schrieb Haydn an Marianne von Genzinger: «... meine anckunft verursachte grosses aufsehen durch die ganze stadt durch 3 Tag wurd ich in allen zeitungen herumgetragen: jederman ist begierig mich zu kennen.» Großes Aufsehen erregte auch der Umstand, dass Haydn auf einem Hofball im St. James Palace vom Prinzen von Wales durch eine sichtbare Verbeugung begrüßt wurde.

    Die Konzertveranstaltungen Salomons in den «Hanover Square Rooms» begannen am 11. März 1791 und wurden wöchentlich bis zum 3. Juni fortgesetzt. Es waren gesellschaftliche Ereignisse ersten Ranges und deren Eintritt der Aristokratie sowie dem gehobenen Bürgertum vorbehalten.

    Ende Mai 1791 erlebte Haydn das alljährlich unter der Patronanz des Königs stattfindende Händel-Festival in der Westminster Abbey. Kein anderes Erlebnis auf englischem Boden hatte den Komponisten nachhaltiger beeindruckt, als diese Gedenkfeier von ungeheuren Ausmaßen. Haydn hörte dabei zum ersten Mal die Oratorien «Israel in Egypt», «Esther», «Saul» und als Krönung des Festivals den «Messiah».

    Nach Abschluss seiner erfolgreichen, ersten «London Season» wurde Haydn im Juli 1791 auf Vermittlung des Musikhistorikers Charles Burney (1726–1814) das Ehrendoktorat für Musik der Universität Oxford verliehen. Die feierliche Zeremonie dauerte drei Tage lang und fand im Sheldonian Theatre in Oxford statt. Bei diesem Anlass dürfte wohl die bereits für Paris geschriebene Sinfonie Nr. 92 erklungen sein, welche später als «Oxford-Sinfonie» in die Musikgeschichte eingehen sollte.

    Bis zum Beginn der nächsten Konzertsaison lebte Joseph Haydn zurückgezogen und erteilte Rebecca Schroeter (1751–1826), der aus einer wohlhabenden schottischen Handelsfamilie stammenden Witwe des 1788 verstorbenen deutschen Komponisten und Tastenkünstlers Johann Samuel Schroeter, Privatunterricht. Zwischen Haydn und seiner Schülerin entwickelte sich eine überaus enge Beziehung. Ihre Briefe, die Haydn in sein Notizbuch übertrug, dokumentieren die leidenschaftlichen Gefühle der Vierzigjährigen für den auf die Sechzig zugehenden Komponisten: «Keine Sprache kann das nur zur Hälfte ausdrücken, was ich an Liebe und Zuneigung für Sie empfinde.» Haydn war oft zu Gast bei Mrs. Schroeter, die mit aller nur denkbaren Fürsorge um das seelische und leibliche Wohl des Meisters besorgt war. Während seines zweiten Aufenthaltes in London wohnte Haydn ganz in der Nähe Rebecca Schroeters und widmete ihr später als Zeichen seiner Verbundenheit seine Klaviertrios op. 73.

    Bereits im August 1791 hatte Fürst Paul Anton II. Esterházy den Wunsch geäußert, Haydn möge doch nach Eisenstadt zurückkehren. Haydn hatte allerdings noch vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen und verließ erst Ende Juni 1792 nach einer weiteren erfolgreich absolvierten Konzertreihe die Britische Insel. Sein Weg führte ihn über Bonn, wo er den jungen Ludwig van Beethoven (1770–1827) kennenlernte, nach Wien zurück. Dort wurde vereinbart, dass Beethoven zu Haydn nach Wien kommen sollte, um bei ihm Kontrapunkt und Harmonielehre zu studieren.

    Im Januar 1794 reiste Haydn gemeinsam mit Johann Elßler (1769–1843), seinem Privatsekretär, Kammerdiener und Kopisten, zum zweiten Mal nach England. Salomons nunmehr in «Opera Concert» umbenannte Veranstaltungsreihe war wiederum großer Erfolg beschieden, worin u. a. die sogenannte «Militärsinfonie», zu Lebzeiten Haydns das wohl populärste seiner Orchesterwerke uraufgeführt wurde. Haydn knüpfte während dieses Aufenthaltes auch Kontakte mit diversen englischen Verlegern.

    Die Liste der Werke, die Haydn für seine beiden Englandaufenthalte komponiert hatte, umfasst zuletzt rund 250 Kompositionen, darunter die unaufgeführt gebliebene Oper «L’anima del filosofo, ossia Orfeo ed Euridice», die 12 «Londoner Sinfonien», 6 Streichquartette, 13 Klaviertrios, 3 Klaviersonaten sowie über 200 Gesangsstücke.

    Am 1. Februar 1795 wurde Haydn die große Ehre zuteil, als einziger lebender Komponist in die Programme der «Ancient Concerts» aufgenommen zu werden. Nun fand er auch offiziellen Einlass in die Konzerte des englischen Königs Georg III. (1738–1820), dem er bei dieser Gelegenheit durch George Augustus Frederick, den Prinzen von Wales (1762–1830) vorgestellt wurde. Im Frühjahr 1795 spielte, dirigierte und sang Joseph Haydn bei verschiedenen Gelegenheiten vor der königlichen Familie und in Konzerten, die der Prinz von Wales (ab 1820 König Georg IV.) im Carlton House veranstaltete. Der englische König und seine Gemahlin Charlotte versuchten Haydn zu überreden, länger in England zu bleiben und boten ihm sogar eine Wohnung in Windsor an.

  • Späte Esterházy Periode und Lebensabend (1795–1809)

    Schon wenige Tage nach Haydns Abreise aus London im Januar 1794 war Paul Anton II. gestorben. Sein Nachfolger, Fürst Nikolaus II. (1765–1833), hatte Haydn im Sommer mitgeteilt, dass er die Musikkapelle wieder aufzustellen beabsichtige, und da er Haydn weiterhin als seinen Kapellmeister betrachtete, forderte er ihn auf, nach Eisenstadt zurückzukehren. Diese Nachricht hörte Haydn nicht ungern, konnte er sich doch sicher sein, von der fürstlichen Pension und Fürsorge allseits unterstützt zu werden. Anfang September 1795 war Haydn, mittlerweile weltberühmt und wohlhabend, in Wien eingetroffen und stand nun in den Diensten seines vierten Esterhazy-Fürsten, dessen Umgestaltung des Schlosses und Parks in Eisenstadt bis heute unverändert erhalten geblieben ist.

    Nikolaus II. war ein passionierter Theaterliebhaber und Kunstsammler. Sein musikalisches Interesse beschränkte sich jedoch hauptsächlich auf Kirchenmusik wodurch es zu Haydns wichtigster Aufgabe wurde, Messen zu komponieren. Von 1795 bis zu seinem Tod lebte Haydn fast ständig in Gumpendorf bei Wien, abgesehen von den alljährlichen Sommeraufenthalten in Eisenstadt, wo er bis 1802 jeden September eine Messe für den Namenstag der Fürstin Maria Josepha Hermenegild (1768-1845) komponierte und in der Bergkirche leitete. Die Hochblüte von Haydns Chormusik ist an diesen Messen ebenso erkennbar wie an seinen späten Oratorien.

    «... ich war auch nie so fromm, als während der Zeit, da ich an der Schöpfung arbeitete; täglich fiel ich auf meine Knie nieder...», erzählte Haydn seinem Biographen Georg August Griesinger. Nach den monumentalen Händel-Aufführungen, die Haydn in London gehört hatte, hegte er den Wunsch, ein Oratorium zu schreiben, das für alle Zuhörer ein moralisches und künstlerisches Erlebnis bedeuten sollte. Der ehemalige Staatsmann und bekennende Musikliebhaber Gottfried van Swieten (1730–1803) erstellte nach einer englischen Vorlage ungeklärter Provenienz das dazugehörige deutsche Textbuch. Die Uraufführung der «Schöpfung» fand am 30. April 1798 im Schwarzenberg-Palais am Neuen Markt in Wien vor einem erlesenen Publikum statt und war ein überwältigender Erfolg.

    Nach Vollendung des Nachfolgewerks «Die Jahreszeiten» und seines frühzeitigen Abbruchs am Streichquartett-Zyklus Op. 77, der gemeinsam mit Beethovens Op. 18 durch Fürst Lobkowitz bestellt wurde und letztlich nur aus zwei vollendeten Werken bestand, begann Haydns kompositorische Schaffenskraft endgültig dem Ende zuzugehen. Auf Empfehlung Griesingers gab Haydn schließlich 1806 deren dritte unvollendet gebliebene Quartettkomposition unter der Opuszahl 103 heraus – als zweisätziges «Lebewohl» gemeinsam mit seiner sogenannten «Visitenkarte», die den Text «Hin ist alle meine Kraft, alt und schwach bin ich» enthielt. In seinen letzten Jahren erhielt Haydn Besuche von prominenten Persönlichkeiten aus dem In- wie Ausland und wurde als Ehrenbürger der Stadt Wien zum gefeierten, «großen alten Mann», der von vielen bedeutenden Musikgesellschaften Europas mit Ehrendiplomen, Medaillen und Mitgliedschaften ausgezeichnet wurde.

    Das letzte Mal erschien Haydn in der Öffentlichkeit, als anlässlich seines 76. Geburtstages am 27. März 1808 sein Oratorium «Die Schöpfung» in der Aula der Alten Universität Wien aufgeführt wurde. Die Aufführung, an der die gesamte Wiener Oberschicht teilnahm, wurde von Antonio Salieri (1750–1825) geleitet.

    Joseph Haydn starb am 31. Mai 1809 während der Belagerung Wiens durch Napoleonische Truppen friedlich in seiner Wohnung in Gumpendorf. Am 1. Juni wurde er auf dem Hundsthurmer Friedhof beerdigt, und am folgenden Tag wurde ein Requiem in der Gumpendorfer Kirche zelebriert. Zwei Wochen später hielt man in der Schottenkirche in Wien einen großen Gedenkgottesdienst ab, zu dem Wiens elegante Welt erschienen war. Haydns sterbliche Überreste sind heute in einem Mausoleum, welches Fürst Paul Esterházy 1932 in der Eisenstädter Bergkirche errichten hatte lassen, beigesetzt.