NO.5 __L'HOMME DE GÉNIE

Kammerorchester Basel
Giovanni Antonini, Dirigent
Eva Gesine Baur, Autorin
Stuart Franklin, Fotografie


Sinfonien Nr. 19, Nr. 80 und Nr. 81
J. M. Kraus: Sinfonie in c-Moll VB 142

Programm

Joseph Haydn (1732–1809): Sinfonie Nr. 81 in G-Dur, Hob. I:81 (1784)
Vivace / Andante / Menuet. Allegretto – Trio / Finale. Allegro ma non troppo

81

SINFONIE NR. 81 G-DUR HOB. I:81 (1763)

Besetzung: Fl, 2 Ob, 2 Fg, 2 Hr, Str
Entstehungsjahr: [bis 8.11.1784]

Vivace / Andante / Menuet. Allegretto – Trio / Finale. Allegro ma non troppo

 

von Christian Moritz-Bauer

«Die Verbindung von Unkompliziertem, Populärem und Artifiziellem gelingt Haydn nicht immer.»
(Michael Walter: Haydns Sinfonien. Ein musikalischer Werkführer. C. H. Beck: München, 2007, S. 84)

«[...]no surprising or dramatic gestures, little use of the minor mode, no overt displays of a learned style, and all of it […] accessible upon first hearing […] this work would be easily received by [an] elite group, who could concern themselves with going to concerts or private entertainments.»
(A. Peter Brown: The Symphonic Repertoire Vol. II: The First Golden Age of the Viennese Symphony: Haydn, Mozart, Beethoven and Schubert. Indiana University Press: Bloomington, 2002, S. 207)

«The whole work has the sleek elegance which [...] marks Haydn in the role of the Great Entertainer.»
(H.C. Robbins Landon: Haydn: Chronicle and Works, Vol. 2: Haydn at Eszterháza: 1766-1790. Thames and Hudson: London, 1978, S. 567)

«Es sind jetzt die Ausnahmefälle, wenn das Sonderbare und Exzentrische, das so häufig wie eh und je in seinem Werk auftritt, nicht [wie in der unterschätzten Symphonie Nr. 81] durch Lyrik verklärt wird.»
(Charles Rosen: Der klassische Stil. Haydn, Mozart, Beethoven. Bärenreiter: Kassel u.a. 1983, S. 175)

Wie aus den vorausgegangenen Zitaten ersichtlich, reichen die Meinungen hinsichtlich der G-Dur-Sinfonie Hob. I:81, ihrer kompositorischen Qualitäten, aber auch ihres auf das Schaffen Joseph Haydns bezogenen Stellenwerts, seit jeher weit auseinander.

An der Schwelle zwischen den sog. «Sturm und Drang-» bzw. den «Theatersinfonien» der späten 1760er und 1770er Jahre, sowie der Zeit der Pariser und Londoner Sinfonien stehend, bildete sie ursprünglich den Auftakt zu des Komponisten zweiter, sich an ein internationales Publikum wendenden Werkgruppe, innerhalb derer sie im März 1785 durch das Wiener Verlagshaus Artaria ihre Erstveröffentlichung erfuhr.

Was den Erfordernissen des Marktes entsprechend unterhaltsam und von den Musikausübenden in nah und fern ohne besondere Schwierigkeiten wiederzugeben sein sollte, musste mit den an sich selbst gestellten und über Jahre hinweg gewachsenen Ansprüchen in Übereinstimmung gebracht werden, welch eine Herausforderung! Und genau dieser versucht Haydn hier mit überraschend neuartig, ja mitunter sogar regelwidrig angeordneten Kompositionselementen zu begegnen.
Als ein besonders beliebtes Spielfeld bietet sich natürlich die Werkeröffnung an, für die sich der Komponist im vorliegenden Falle einen Schachzug von geradezu genialer Simplizität hatte einfallen lassen: Aus einem kraftvollen Tutti-Schlag, von dem bald nichts als der Rest einer Schallwelle zurückbleibt, schält sich ein in seiner Fragilität geradezu mysteriös erscheinender Trommelbass der Violoncelli heraus, zu dessen leise pochenden Tonrepetitionen auf g sich ein darüber geschichtetes f der zweiten sowie ein den harmonischen Bezugspunkt weiter verschleierndes Vorhaltsmotiv der ersten Violinen gesellt. Als letztere dann doch noch den klärenden Leitton ausspielen und mittels sanft ausschwingender Achtelbewegung wieder Bodenkontakt gewinnen, rutscht der gesamte Streicherapparat ganz unvermutet ins dominantische D-Dur ab. Ein klassischer Fehlstart? also: Kommando zurück, zweiter Versuch.
Ob es der vorgezogene Einsatz der Violen war, der dem locker gefügten Kaleidoskop an Motiven die nötige Stabilität verschaffte? Was zählt ist der Erfolg – und genau diesen verspricht ein von kräftigen rhythmischen Konturen akzentuierter Forteblock, der gegen Ende der nächsten Periode auf einem von Tuttiakkorden gestützten harmonischen Grundgerüst erscheint, das auch ein neuer, von Achtelpausen und chromatischem Melodieverlauf geprägter thematischer Grundgedanke für sich zu nutzen weiß.
Spätestens hier bewegt unser Meister sich dort, wohin ihm sein damaliges Zielpublikum wohl gerade noch zu folgen vermochte und kann es somit wagen, sein altbekanntes Verwirrspiel von Neuem zu beginnen. Zu guter Letzt wird sie, die Zuhörerschaft, aber dennoch erhört und mit einer vollständigen Wiedergabe des Anfangsthemas versöhnt, die in einer schlichten Schlusskadenz mündet.
Der angeklungenen freundlich-gelassenen Stimmung darf sich das Publikum aber auch im anschließenden Andante, einem Siciliano-Thema mit drei darauf folgenden Variationen erfreuen, aus dem an zentraler Stelle ein kontrastreich dazwischen geschaltetenes, dorisch notiertes Interludium hervorsticht.
Nach einem Menuett von rustikaler Natur und einem Fagottsolo-lastigen Trio mit exotisch anmutender Mollwendung, hält der Finalsatz mit denkbar vielgestaltigen rhythmischen Impulsen Einzug. Dabei zeigt sich das Allegro nicht nur im Tonfall, dem eher die Position des Kopf- als diejenige des Schlusssatzes gebührend erschiene, sondern auch des entschleunigten Tempozusatzes (ma non troppo) wegen, als durchaus erwartungsenttäuschend. Ein Gutes hat das Haydn'sche Vexierspiel aber doch: die Gefahr, den monothematischen Melodieverlauf mit all seinen Stimmüberkreuzungen, motivischen Abwandlungen und wechselnden Akzentsetzungen aus dem Auge zu verlieren oder mit Ohr und Verstand nicht mehr folgen zu können ist deutlich gesunken!

Sinfonie Nr. 81
VOL. 5 _L'HOMME DE GÉNIE

Giovanni Antonini, Kammerorchester Basel

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Joseph Martin Kraus (1756–1792): Sinfonie in c-Moll VB 142 (1783?)
Larghetto – Allegro / Andante / Allegro assai

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J. M. Kraus: SINFONIE C-MOLL VB 142 (Wien, 1783)

Larghetto – Allegro / Andante / Allegro assai

 

von Christian Moritz-Bauer

Als Sohn des kurmainzischen Beamten Johann Bernhard Kraus und der aus einer Baumeister-Dynastie hervorgegangenen Anna Dorothea geb. Schmitt, eine humanistische Ausbildung am Mannheimer Jesuitenkolleg genießend, gerät der am 20. Juni 1756 zu Miltenberg am Main geborene Joseph Martin Kraus schon mit jungen Jahren in Kontakt mit jener am Musenhof Carl Theodors von der Pfalz angesiedelten Künstlergemeinschaft, als deren besonderes Aushängeschild die Mitglieder der dortigen Hofkapelle einen geradezu legendären Ruf von europaweiter Verbreitung genießen. Der Aufnahme eines Philosophie- und Jura-Studiums in Mainz (Januar 1773), wo sich sein jugendlich-ungestümer Kopf erste gesellschaftspolitische Freiräume erdenkt, folgt bald der Wechsel an die Universität in Erfurt. Die dortigen Lehrstunden des Bachschülers Johann Christian Kittel weiß Kraus während der folgenden gut einjährigen Studienunterbrechung, die er wegen einer gegen den Vater geführten Verläumdungskampagne in Buchen im Odenwald, mittlerweile Wohnsitz der Familie, verbringen sollte, für die Komposition von Kirchenwerken zu nutzen. Unter dem Eindruck des von Heinrich Leopold Wagner aus dem Französischen des Louis-Sébastien Mercier übersetzten «Neuen Versuch[s] über die Schauspielkunst», sowie um sich seinen Unmut gegenüber der absolutistischen Obrigkeit von der Seele zu schreiben, fließt aus seiner Feder alsbald auch der Tolon, eine Tragödie in drei Akten. Ihre Sprache, die sich in auffälliger Weise des Tonfalls der literarischen «Sturm und Drang»-Bewegung bedient, wird künftig auch die Briefseiten des kritischen Bürgersohnes füllen, der im November 1776 nach Göttingen zieht, um dort seine Studien wieder aufzunehmen.

In der niedersächsischen Universitätsstadt gerät Kraus mit dem sog. «Hainbund», einer Gruppe sich literarisch betätigender Studenten in Kontakt, dem u.a. Carl Friedrich Cramer, Friedrich Hahn, Anton Leisewitz, Heinrich Voss, die Vettern Miller und die Brüder Stolberg angehörten. Den Hainbündlern gemeinsam war die Verehrung Klopstocks und Bürgers, eine ausgeprägte Vaterlands- und Freiheitsliebe sowie die leidenschaftliche Ablehnung des Ancien Regime und eines angeblichen Sittenverderber namens Christoph Martin Wieland, die sie mit ihrem Sprachrohr, dem «Göttinger Musenalmanach» an die Öffentlichkeit trugen. Zwar war der Bund als solcher bei Eintreffen des jungen Odenwälders bereits zur Geschichte geworden, seinem Gedankengut durch die vorübergehende Rückkehr Hahns aber eine kurze sommerliche Nachspielzeit gegönnt.

Für Kraus jedenfalls scheint sich dessen Freundschaft wie ein Befreiungsschlag auf sein folgendes künstlerische Schaffen ausgewirkt zu haben. Dies jedenfalls verrät schon die binnen weniger Monate zu Papier gebrachte und anonym veröffentlichte Schrift namens Etwas von und über Musik fürs Jahr 1777, in der es Kraus sich angedeihen lässt, auf gleichsam wortgewandte wie respektlose Weise manch einer komponierenden Größe der Gegenwart die Stirn zu bieten.
Bei all dem was einem dort an Interjektionen und Ausrufezeichen, an lebhaften Einwürfen und kurzen Gegenreden von benannten wie namenlosen Gesprächspartnern begegnet, wird schnell eines klar: was hier sich erhebt, ist wieder die Stimme des «Sturm und Drang», des zur Mode gewordenen Geniekults. Und dennoch sei einem die Frage gestattet, ob denn die hier so überaus deutlich hervortretende Parteinahme für das Reformprogramm des Bühnendramatikers Gluck tatsächlich einem Akt der Bewunderung und nicht vielmehr einer nur anerworbenen Hainbund-bedingten Ablehnung gegenüber der Wieland'schen Alceste von 1773 entstammte. Als Kraus dann einige Jahre später das Glück zuteil werden sollte, den Grandseigneur des klassischen Musiktheaters persönlich zu begegnen, zeichnet er ein Bildnis desselben, als ob dieser gerade einer Klopstock'schen Heldendichtung entsprungen sei: «Meinen Gluck habe ich gefunden – er schäzt mich, das ist gut; aber er liebt mich auch, und das ist besser! Ein herzguter Mann, aber feurig wie der Teufel, und da bin ich blos Spaß gegen ihn. Wenn er ins Zeug neinkömt – hei! Da braußts und jede Nerve ist gespant und hallet wieder.»

Zwischenzeitlich haben sich in des jungen Mannes Leben weitere wichtige Momente ereignet, an deren erster Stelle die noch zu Göttingen getroffene Entscheidung zu nennen wäre, sich fortan nurmehr der Musik zu widmen und auch der Heimat den Rücken zu kehren. Ein mehr oder weniger direkter Anstoß dürfte dabei von Carl Stridsberg, einem Kommilitonen und Dichterfreund ausgegangen sein, der nicht nur mit Kraus gemeinsam ein Bühnenwerk entworfen, sondern letzterem gegenüber auch ein verlockendes Bild seiner Heimat als Paradies der Schönen Künste gezeichnet haben dürfte. Ausgangspunkt jener Zeit der kulturellen Blüte, die das Königreich Schweden gegen Ende des 18. Jahrhunderts erlebte, war der deutschstämmige Gustav III. Bereits in den ersten Jahren seiner Regierungszeit (1771-1792) gründete er zu Stockholm zwei Akademien – eine für die Musik, die andere für die bildenden Künste –, an deren leitende Positionen er hervorragende Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland befahl. Zu diesen zählte schließlich auch unser Kraus, nachdem er – der zuvor jegliche Protektion und Empfehlung von höherer Stelle aus abgelehnt hatte – ganze zwei Jahre nach seiner Ankunft in Schweden, d.h. im Juni 1780, endlich daselbst mit einem Opernauftrag bedacht wurde: Das Libretto mit Namen Proserpin verfasste der Hofdichter Johan Henrik Kellgren.
Von nun an geht es schnell bergauf: Vor Ende des Jahres wird Kraus die Einstudierung von Glucks Alceste aufgetragen und er zum Mitglied der Musikakademie berufen. Es folgen die erfolgreiche Uraufführung der Proserpin auf Schloss Ulriksdal (1. Juni 1781) und kaum zwei Wochen später die Ernennung zum zweiten Hofkapellmeister.
Der Weg zum Erfolg scheint geebnet: Zu Beginn des Jahres 1782 soll am Stockholmer Gustav-Adolf-Platz das seit 1775 in Bau befindliche königliche Opernhaus mit einem weiteren Bühnenwerk des frischgebackenen Vizekapellmeisters – Aeneas i Carthago lautet der Titel – eröffnet werden. Doch der Einweihungstermin verzögert sich und schlimmer noch: Als die Komposition bereits mehr als zur Hälfte abgeschlossen ist, muss Kraus seinen Eltern voll Bedauern die Nachricht von der Flucht der für die Rolle der Dido vorgesehenen Primadonna Caroline Müller überbringen, die das vorzeitige Ende seiner bisher größten Unternehmung in der Welt des Musiktheaters erzwungen haben soll. Dass Kraus binnen einer Woche nach der Eröffnung des Opernhauses, die nun am 30. September 1782 mit einem Singspiel von Naumann über die Bühne geht, von seinem König auf eine Bildungsreise zu den kulturellen Zentren Europas entsendet wird, war jedoch nicht als ein Akt Wiedergutmachung, sondern bereits seit längerer Zeit geplant gewesen.

Berlin, Dresden, Wien, Eszterháza, Venedig, Florenz, Rom, Neapel und Paris, dazu je ein Abstecher zu Padre Martini nach Bologna sowie zu den Londoner Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Händel – die Stationen der Reise werden diejenigen, welche um die Bedeutung des Musiktheaters im Schaffen des deutsch-schwedischen Tonkünstlers wissen, kaum verwundern. Und doch sind es vor allem die Sinfonien (von denen bei Anbruch der Reise bereits mehr als ein Dutzend verschiedene Werke existiert haben dürften), die den entscheidenden Teil zum Nachruhm des «Klassizisten» Kraus beigetragen haben. Dabei scheint, als ob es ihm – der sich seines «Genies» durchaus bewusst und (um mit den Worten des Hainbündlers Stolberg zu sprechen) mehr als nur einmal der «Fülle des Herzens» gegenüber Vernunft der Väter den Vorrang gab – kaum jemals daran gelegen war, sich durch den Verkauf mitgeführter Musikalien seine Reisekasse aufzustocken.
So zeigt sich denn nicht nur ein Haydn verwundert und erntet auf den gut gemeinten Rat mitunter auch der «klingenden Münze» zu gedenken nur einen beißenden Kommentar in des Reisenden Briefkorrespondenz. Hier darf sich indes eine andere Bekanntschaft – es ist der Handelsagent Johann Samuel Liedemann – schon einer ganz anders gearteten Geste erfreuen, von dem es in einem Schreiben an Emerich Horváth-Stansith de Gradec, Sproß einer ungarischen Adelsfamilie und Vize-Gespan des Komitats Zips heißt: «Alles, was wir von ihn besizen, besteht in 1 Ouverture von seiner Oper, 1 Quartett von seinen frühern Arbeiten, und eine Sonate, die er als ein Andenken seiner Freundschaft mir gewidmet hat. Jezt arbeitet er an einer Symphonie, die er mir aber auch überlaßen wird.» Es ist September, das Jahr 1783. Seit Anfang April weilt Joseph Martin Kraus in der Hauptstadt des Habsburger Reiches, hat Opern- und Oratorienaufführungen beigewohnt, Privatkonzerte im Haus seines Freundes Liedemann gegeben und die Größen der Wiener Musikszene getroffen. Ganz oben auf der Besuchsliste steht Christoph Willibald Gluck, zu dem es ihn wie einen «Pilgrim zu des heiligen Landes Überbleibseln» zieht. Es folgen Begegnungen mit Salieri und Vanhal, dem «kreuzbraven» Albrechtsberger und eine Audienz bei Kaiser Joseph II. Von einem Treffen mit Mozart fehlt indes jeglicher Bericht und der Entschluss, sich kurz vor der von König Gustav befohlenen Weiterreise nach Italien «noch auf eine kleine Zeit nach Esterhazi zu begeben, um von meinem Hayden Abschied zu nehmen», scheint – wegen des laufenden Theaterbetriebs auf Schloss Eszterháza und der daraus herrührenden Unabkömmlichkeit des dortigen Kapellmeisters – wohl dann die erste und einzige Zusammenkunft von Kraus und Haydn herbeigeführt zu haben.
Bis hin zu jener Begegnung sollten aber noch einige Tage und Wochen verstreichen in denen sich der junge Wahlschwede offensichtlich doch bemühte etwas zur Distribution seines musikalischen Œuvres beizutragen. So wird also nicht nur komponiert, sondern auch ein Kontakt zur Kopistenwerkstatt des Johann Traeg aufgebaut, deren Notenabschriften sich einer weit über die Landesgrenzen hinweg reichenden Verbreitung erfreuen. Und immer wieder wird in diesem Kontext von einer «Sinfonie aus C moll» die Rede sein, ein Werk, welches in fernerer Zukunft einst aus dem kleinen, aber durchaus erlesenen Kanon der sinfonischen Werke von Joseph Martin Kraus als eines «der bedeutendsten Beispiele seiner Gattung aus den 1780 Jahren» hervorgehoben werden sollte.

Die eigentliche Erfolgsgeschichte der C-moll-Sinfonie, welche in Traeg'schen Stimmenabschriften wohl seit Beginn des Jahres 1784 erhältlich gewesen sein dürfte, kam allerdings erst richtig in Fahrt, als sie – durch die Fredrik Samuel und Gustav Abraham Silverstolpe veranlasst – 1797 bei Breitkopf und Härtel in Leipzig erschienen war. Dass in der neu gegründeten, verlagseigenen Allgemeinen musikalischen Zeitung alsbald eine lobende Besprechung folgen sollte, scheint den Bemühungen der Brüder Silverstolpe dabei ebenso zuträglich gewesen zu sein, wie die Worte Joseph Haydns, dieser in noch im gleichen Jahr gegenüber dem auf diplomatischen Dienst in Wien befindlichen Frederik Samuel geäußert haben soll: «Kraus war der erste Mann von Genie, den ich ie gekannt habe. Warum mußte er sterben? Er ist ein unersetzlicher Verlust für unsere Kunst.»
Das Werk, dessen autographe Überlieferungsform wohl eine auf Kraus' späteren Parisaufenthalt zurückgehende, um ein zweites Hörnerpaar erweiterte und an den zu Wien gewonnenen Eindrücken geschulte Umarbeitung einer noch in Stockholm entstandenen Sinfonia in cis-Moll darstellt, beginnt mit langsamer Einleitung und diese wiederum mit einer Verneigung vor seinem «Pan Gluck», indem sie aus dessen Iphigénie en Aulide den Anfang der Ouvertüre auf klangfarblich erweiterte wie kontrapunktisch verdichtete Weise zitiert. Was dann im weiteren Verlauf der Komposition in eindringlicher Klangrede zum Ausdruck kommt, das beschrieb wohl nie jemand bisher so treffend, wie die sprachgewandte Feder des Musiktheoretikers und -rezensenten Justin Heinrich Knecht:«Man muss die ausgesuchten, alle Saiten der Seele erschütternden Modulationen, welche in dieser Sinfonie stromweise aufeinander folgen, den prächtigen und ausgezeichneten Gang der Bässe, die fleissige Bearbeitung der Mittelstimmen, die schöne und simple Begleitung der Blasinstrumente, und überhaupt die pathetischen Gedanken dieses großen Meisters in der That bewundern.»
Auch wenn – um wieder zu Haydn zurückzukehren – sich dessen Enthusiasmus gegenüber Kraus wohl vielmehr an der ihm durch Silverstolpe als Geschenk überreichten Trauersinfonie auf den Tod Gustav III., als jenem Fall eines in Töne gesetzten Denkmals der Gluck-Verehrung entzündet haben dürfte, so können wir doch einem weiteren sich auf beider Begegnung zu Eszterház berufenden Briefzitat des Johann Samuel Liedemann vom Dezember 1783 entnehmen, dass zwar «die Krausischen Sachen [...] nicht im Geschmack seines Fürsten gearbeitet; wenn der Fürst aber abwesend, und er sich einen guten Tag machen will», er sich dieselben habe vorspielen lassen.
So dürfte denn Kraus auch jener Tage mit einem gewissen Gefühl der Befriedigung ins Italienische weitergezogen sein, und das nicht nur, weil man sich – von fürstlich-esterházyscher Seite aus – ihm gegenüber «sehr herablassend» gezeigt und er zu Wien neue Freundschafts- und Geschäftsbeziehungen hatte schließen können. Sein kompositorisches Werk war jedenfalls daselbst auch merklich angewachsen – und zwar um etwa zwanzig Liedkompositionen, ein Streichquartett, ein Flötenquintett und mindestens eine, wenn nicht gar mehrere Sinfonien ...

Zit. aus einem Brief an die Eltern in Amorbach (Odenwald), datiert auf „Wien den 28t Junius 1783“.
Zit. nach Ingrid Fuchs: „Haydniana in einer altösterreichischen Adelskorrespondenz“ in: Internationales musikwissenschaftliches Symposium „Dokumentarische Grundlagen der Haydnforschung“ im Rahmen der Internationalen Haydntage Eisenstadt, 13. und 14. September 2004, hg. von Georg Feder & Walter Reicher, Tutzing 2006, S. 55-79, hier S. 72.
Zit. aus einem Briefentwurf an den Stockholmer Theatdirektor Christoffer Bogislaus Zibeth, datiert auf „[Wien,] den 15. [Apri 1783]“.
Siehe Fußnote 1.
Zit. nach Gabriela Kombrach, Artikel „Kraus, Joseph Martin“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite, neubearbeitete Ausgabe, hg. von Ludwig Finscher, Personenteil, Bd. 10 Kemp-Lert, Kassel, Stuttgart u.a. 2003, Spalten 622-626, hier: Spalte 624.
Zit. aus einem Brief F. S. Silverstolpes an Marianne Lämmerhirt geb. Kraus, die Schwester des Komponisten, agedruckt in Helmut Brosch: „Quellen zur Biographie von Joseph Martin Kraus, c) Frederik Samuel Silverstolpes Briefwechwechseö mit Kraus' Vater, Schwester und Schwager“ in: Mitteilungen der Internationalen Joseph-Martin-Kraus-Gesellschaft, Heft 5/6, 1986, S. 1-35, hier S. 21.
Zit. nach Justin Heinrich Knecht: „Recensionen. Oeuvre de Joseph Kraus, Maitre de Chapelle de S.M. Le Roi de Suede. Premier Cahier […] 1) Sinfonie für ein grosses Orchester [...]“, in: Allgemeine musikalische Zeitung. Erster Jahrgang vom 3. Oct. 17987´bis 15. September 1799, Leipzig bey Breitkopf und Härtel, Spalten 9-11, hier Spalte 11.
Zit. nach Ingrid Fuchs: „Haydniana in einer altösterreichischen Adelskorrespondenz“, S. 73.

J. M. Kraus: Sinfonie in c-Moll VB 142
VOL. 5 _L'HOMME DE GÉNIE

Giovanni Antonini, Kammerorchester Basel

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Joseph Haydn (1732–1809): Sinfonie Nr. 19 in D-Dur, Hob. I:19 (ca. 1760/61)
Allegro molto / Andante / Finale. Presto

19

SINFONIE NR. 19 D-DUR HOB. I:19 (ca. 1760/61)

Besetzung: 2 Ob, 2 Hr, Str
Entstehungsjahr: bis 1766 [1760/1761]

Allegro molto / Andante / Finale. Presto

 

von Christian Moritz-Bauer

«Eines Tages begab sich der alte Fürst Antonio Esterházy in das Haus des Grafen [Mortzin], um dort Musik zu hören. Er war ein leidenschaftlicher Musikfreund, der ein großes und erlesenes Orchester zu seinen Diensten hatte, das von Maestro Werner dirigiert wurde. Nachdem der Fürst eine Symphonie von Haydn gehört hatte – es war jene in D-Dur und im Dreivierteltakt –, fand er Gefallen an der Art dieses Komponisten und drängte den Grafen, ihn ihm zu überlassen. Jener, der zuvor aus wirtschaftlichen Gründen schon daran gedacht hatte sein Orchester zu entlassen, zeigte sich dem Wunsch des Fürsten gerne gefällig.»

Was hier Giuseppe Carpani als einer der ersten Biographen Joseph Haydns so erzählfreudig berichtet, scheint – trotz kleinerer historischer Ungenauigkeiten – ein durchaus vorstellbares Szenario aus unseres Komponisten künstlerischem Werdegang wiederzugeben: den möglicherweise entscheidenden Moment des ersten Höreindrucks nämlich, der das einstige Oberhaupt der ungarischen Fürstenfamilie Esterházy dazu bewogen hatte, den knapp dreißigjährigen Kapellmeister aus seinem damaligen, sich zwischen Unter-Lukawitz bei Pilsen und der Habsburgermetropole Wien abspielenden Arbeitsverhältnis abzuwerben.
Dass der hinsichtlich seines Wahrheitsgehalts doch oft in Zweifel gezogene Carpani-Text hier einmal nachweislich nahe der Wirklichkeit liegt, das bezeugen die chronologischen Studien der Haydnforscherin Sonja Gerlach, denen zufolge die Nr. 19 nach der traditionellen Zählung der Haydn-Sinfonien durch Eusebius Mandyszewski nicht nur stilistisch gesehen ein Übergangswerk zwischen den frühen Morzin- und den darauf folgenden ersten Esterházy-Sinfonien darstellt, sondern zugleich als einzig in D-Dur gesetztes Werk aus einer Gruppe dreier Sinfonien mit anfänglichem Dreivierteltakt herausragt, die nach stilistischen Aspekten in die Zeit um Haydns ersten Dienstwechsel, d.h. um die Wende von 1760 auf 61 zu datieren wäre.
Als einer der großen Vorzüge von Hob. I:19, das in puncto Instrumentierung und formaler Anlage nicht gerade auffällig erscheint, wird gerne die «kompositorische Geschlossenheit» des erstpositionierten Allegro hervorgehoben, was meint, dass dessen Aufbau, welchen die Formenlehre des 19. und 20. Jahrhunderts mit Begriffen wie Exposition, Durchführung und Reprise belegt, nicht nur als eine bloße Aneinanderreihung «Motiv» genannter musikalischer Kleinteile, sondern – aufgrund eines komplexen Systems gegenseitiger Bezüge unter denselben – weit treffender als ein durch Kadenzpunkte in periodische Abschnitte unterteilter Gesamtverlauf beschrieben werden möchte. Bei aller ihr innewohnenden Kompositionswissenschaft weiß der Kopfsatz der D-Dur-Sinfonie aber auch mit einigen markanten «Hinhorchern» aufzuwarten, wie etwa jene wilden Tremolopassagen, die von plötzlichen Tutti-Effekten begleitet werden und das harmonische Geschehen sogar vorübergehend einmal nach h-Moll abdunkeln.
In mehrerer Hinsicht erstaunlich zeigt sich aber auch das darauffolgende Andante, das trotz aller Kürze mit einer besonderen rhythmischen Vielfalt aufzuwarten hat. Da wäre z.B. die permanent auftaktige Gestaltung des Melodieverlaufs, der mit ihrer im Staccato geführten Achtelbewegung einen fast schon marschartigen Charakter erhält oder die direkt daran anschließende für den späteren Haydn geradezu charakteristisch erscheinende Synkopenpassage, in der sich die zweite Violine – im Sechzehntelabstand dem Streicherbass folgend – auf einmal als stimmführend erweist. Nachhaltigen Eindruck vermag aber auch die tongeschlechtliche Prägung des Mittelsatzes zu hinterlassen, der sich die längste Zeit in d-Moll bewegt, jedoch vor zeitweisen Ausflügen nach g-Moll, sowie auch nach F- und A-Dur nicht Halt macht.
Mit einem tänzerischen 3/8-Takt – zu jener Zeit, etwa im Werk eines Georg Christoph Wagenseil vielfach anzutreffen – beschließt ein Presto-Finale mit einprägsamen Jagd- und ostinatoartig von den tieferen Streichern hinfort getragenen Galoppmotiven das thematische Geschehen. Ob dahinter eine Referenz des Komponisten an ein gewisses, auch in der Familie Esterhazy sehr beliebtes «fürstliches Vergnügen» stand? Als ausgesprochen wirkungsvoll erweist sich auch hier eine markante Tremolopassage, die aufgrund ihrer über mehrere Takte hinweg reichenden, von Sext-, Oktav- und sogar Dezimsprüngen bestimmten, abwärts sequenzierten Einleitung gleich einer Vorbotin auf ein gewisses «Sturm und Drang»-Idiom wirkt, welches das Vokabular des Tonschöpfers Haydn in weniger Jahre Zukunft so nachhaltig prägen sollte.

Zit. nach Giuseppe Carpani: Haydn. Sein Leben. Aus dem Italienischen und mit einem Vorwort von Johanna Fürstauer, St. Pölten & Salzburg 2009, S. 98.
Vgl. Sonja Gerlach, Joseph Haydns Sinfonien bis 1774. Studien zur Chronologie, in: Haydn-Studien 7/1-2 (1996), S. 1-288, insbes. S. 71-75.

Sinfonie Nr. 19
VOL. 5 _L'HOMME DE GÉNIE

Giovanni Antonini, Kammerorchester Basel

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Joseph Haydn (1732–1809): Sinfonie Nr. 80 in d-Moll, Hob. I:80 (1784)
Allegro spiritoso / Adagio / Menuet – Trio / Finale. Presto

80

SINFONIE NR. 80 D-MOLL HOB. I:80 (ca. 1783/84)

Besetzung: Fl, 2 Ob, 2 Fg, 2 Hr, Str
Entstehungsjahr: [bis 8.11.1784]

Allegro spiritoso / Adagio / Menuet – Trio / Finale. Presto

 

von Christian Moritz-Bauer

Ein ganzes Jahrzehnt war vergangen, dass Haydn mit der sog. «Abschiedssinfonie» sein letztes größeres Orchesterwerk in Moll komponiert hatte – eine Zeit in der er auf dem Gebiet der Sinfonik aber alles andere als untätig geblieben war und seiner musikalischen Sprache manch neue Ausdrucksweise hatte angedeihen lassen. In der Forschung ist hierbei meist von einem (weitgehenden) Verzicht auf jene ins Extrem geführte Kompositionweise die Rede, welche – traditionellerweise mit dem aus der Literaturwissenschaft entlehnten Begriff des «Sturm und Drang» umschrieben – in einer ganzen Reihe Haydn'scher Werke ab Ende der 1760er Jahre zutage getreten war.
Dass es in Haydns sinfonischem Œuvre fortan weniger «experimentell», dafür aber deutlich «populärer» zugehen sollte, davon kann nach gut informierter Sichtweise kaum mehr die Rede sein. Auch lässt sich wohl nicht bestreiten, dass der «musikalische Sturm und Drang» zu seiner Hochzeit ein gleichermaßen beliebtes wie weitverbreitetes Stilmittel gewesen sei.
Ein Grund, warum das Extreme, das Schroffe und Ungebändigte in des Komponisten Vokabular zwar fortan in den Hintergrund getreten, nie aber wirklich verschwunden war, liegt wohl auch v.a. darin begründet, dass Haydn, nachdem ihm ein neuer Dienstvertrag aus 1779 erlaubte, den internationalen Musikalienmarkt nunmehr aktiv mit eigenen Tonschöpfungen zu bedienen, es sich zur Regel machte, ein jedes seiner künftigen Publikationsprojekte fortan mit einem Werk aus dem «weichen Tongeschlecht» abzurunden. So sollte sich selbiger Beschluss dann nicht nur auf den um 1782 entstandenen und bald darauf als «schön, prächtig und nicht gar zu lange» beworbenen Trias der Sinfonien Hob. I:76-78 mit seiner «ex C minore» an letzter Stelle, sondern auch auf dessen nachfolgenden Werkzyklus auswirken, welchem die hier nun besprochene «Sinfonia in D la Sol re minore / Di me Giuseppe Haydnmpria» – so der autographe Titel einer als Stichvorlage für den Londoner Erstdruck durch William Forster verfassten Stimmenabschrift – angehört.

Als »turbulent and unstable”, «erregt» und «ungestüm», als «heftigen, aber thematisch kaum konturierten und harmonisch unruhigen, im Ton düsteren Komplex», wurde der wahrhaft stürmische Beginn von Hob. I:80 beschrieben. Und tatsächlich fühlt sich das Publikum gleich mitten im Geschehen, wo ihm eine die ersten Takte beherrschende «kräftig markierte Melodie zu flirrenden Streichertremoli» den Eindruck verleiht, als ob sie zuvor ihres Anfangs beraubt oder aus einem größeren Zusammenhang herausgerissen wurde.
Von kompositionstechnischer Warte aus betrachtet, lässt sich in diesem Kontext hingegen auch von einem Dreitonmotiv mit variabler Intervallstruktur berichten, welches den entscheidenden Stimmungsgehalt der ersten Themenperiode maßgeblich beeinflussen wird. Selbiges leitet sodann in ein vermeintliches «Seitenthema» über, das aber – bevor es eine ordentliche Schlusskadenz bilden kann – von einem verminderten Septakkord unterbrochen und wie wider Willen weiter nach f-moll getrieben wird. Bis zu diesem Zeitpunkt sei alles, so A. Robert Browns treffende Bemerkung, »almost one big Sturm und Drang gesture” gewesen. Dann aber geschieht etwas geradezu unerhört Haydn'sches: Einer fingerschnippartigen Vorschlagsfigur folgend, wiegt sich ein flöten- und geigengeführtes Ländlerthema mit Pizzicatobegleitung ein – und als dann nach weiteren sieben Takten das Zeichen zum Sprung an den Satzbeginn erfolgt, scheint guter Rat teuer – zumal (nach der erwarteten Wiederholungsschleife) der folgende Formabschnitt gleich einem Moment der Besinnung mit einer zweitaktigen Generalpause beginnt. Was mag sich da wohl in der Ideenschmiede des Tonsetzters zugetragen haben? Über einschneidende Septakkorde und manch harmonische Terra icognita (anfänglich Des-Dur!) fegt der Sturm dann in g-Moll dahin, bis ihm der Ländler zum wiederholten Male Einhalt und eine Wendung nach F-Dur gebietet. Als sich die Streicherbässe in weiterer Folge auf den Orgelton a einigen, wird des Komponisten Plan vollends klar: das Ziel liegt in D-Dur und mit dem vorausgehenden Kampf der Tongeschlechter ist es dann endgültig vorbei, als das «Seitenthema» mit dem entsprechenden Vorzeichenwechsel seine triumphale Rückkehr feiert.

In eine verwandte und doch wiederum anders geartete Sphäre leitet der zweite Satz der Sinfonie, ein Adagio in B-Dur, der Subdominante von d-Moll hinüber. Obwohl also tonartlich gesehen ein Bezug zum finsteren Werkbeginn aufgebaut wird, schlägt die Stimmung nun eine heitere, freundliche, der Welt und der Liebe geöffnete Richtung ein. Die Vermutung, dass Haydn hier mit seinen ausschweifenden, von allerlei Zierwerk angereicherten Melodiebögen eine Brücke zur Oper schlagen wollte, mag jedenfalls durchaus überzeugen, hatte er doch beinahe zeitgleich an Armida, seinem letzten für das Theater auf Schloss Eszterháza selbst verfassten Bühnenwerk gearbeitet. Der musikalische Atem ist jedenfalls von beeindruckender Länge und durchläuft sogar sämtliche Teile der klassischen Sonatensatzform, der im weiteren Verlauf noch ein von sextolischen Akkordbrechungen begleitetes Seitenthema, eine rhythmisch-pointierte Überleitung sowie ein tänzerischer Schlussgedanke beigesteuert werden. Dass es inmitten dieser Idylle nicht auch an einer vorübergehenden Verdunkelung, an diversen dramatischen Abbrüchen und melodischen Stillständen mangeln darf, versteht sich beinahe von selbst.
In einer das Dreitonmotiv des Allegro spiritoso zitierenden Weise geht es – ins anfängliche d-Moll zurückgekehrt – mit dem erwarteten Menuettsatz weiter. Ein energisch-angespannter Dreivierteltakt? Hätte da nicht viel eher der vorherige Ländler gepasst? Auf diese hypothetische Zuhörerfrage könnte Haydn es bei seiner Werkkonzeption durchaus abgesehen haben.
Jedenfalls scheint hier der Konflikt der Tongeschlechter auch eine gewisse Rolle zu spielen, kehrt doch der Trioteil mit seinem simplizistischen Oboe-Horn-Violine-Thema nach ein paar mehrdeutigen Takten entschieden nach Dur zurück.
Ganz und gar «unklar» wirkt indes der Beginn des Presto-Finale, welches von Walter Lessing einst als «ein Kabinettstück an bizarrem Humor und rhythmischer Delikatesse, gepaart mit überraschenden instrumentalen und harmonischen Effekten» charakterisiert wurde. Wie recht er dabei hatte: Ein über alle Streicherstimmen hinweg geradtaktig angelegtes Thema erst gegen Ende seiner zwölftaktigen Vorstellungsphase als synkopisch versetzten Zweivierteltakt zu outen – das grenzt schon beinahe an Verwegenheit!
In Windeseile ergreift das Synkopen-Motiv auch von den übrigen Orchesterstimmen Besitz, während die Violinen sich über einige Takte hinweg mit ungestümen 32tel-Läufen ein wenig Luft verschaffen können. Freilich werden die Flüchtigen gleich wieder eingefangen und von einem chromatischen Motiv der sie umzingelnden übrigen Stimmen mit Argusaugen beobachtet – bis sie sich aufs Neue losreißen und einem kleinen aber feinen Terzengesang der Oboen Tor und Tür öffnen. Mit munter aufsteigenden Staccato-Motiven geht es zurück in die Wiederholung und dann auch weiter in die zweite Satzhälfte, die, so Ludwig Finscher, einer «wahre[n] tour de force [motivisch-]thematischer Arbeit» gleich komme. Mit akzentuierter Chromatik und einer Kombination aus Synkopen- und Staccato-Motiven zeigt sich der Schluss des Finalsatzes ebenso bewegt wie auch in seinen harmonischen Streifzügen, die von d-Moll bzw. F-Dur über g-, fis- und cis-Moll bis hin nach H- und ins schlussendliche D-Dur reichen – ein außergewöhnliches Ende einer außergewöhnlichen Sinfonie!

Matthew Riley: The Viennese Minor-Key Symphony in the Age of Haydn and Mozart. Oxford & New York 2014, S. 210.
Andreas Friesenhagen: Begleittext zur CD-Aufnahme «Haydn. The Harmonia Mundi Edition: Violin Concerto no.1, Symphonies no.49 »La Passione” & no.80. Freiburger Barockorchester, Gottfried von der Goltz”. Arles 2009, S. 21.
Ludwig Finscher: Joseph Haydn und seine Zeit. Laaber 2000, S. 318.
Siehe Fußnote 2..
A. Peter Brown: The Symphonic Repertoire Vol. II – The First Golden Age of the Viennese Symphony: Haydn, Mozart, Beethoven and Schubert. Bloomington 2002, S. 203.
Walter Lessing, Die Sinfonien von Joseph Haydn, Band II, Baden-Baden 1988, S. 233.

Sinfonie Nr. 80
VOL. 5 _L'HOMME DE GÉNIE

Giovanni Antonini, Kammerorchester Basel

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Besetzung

Kammerorchester Basel
Giovanni Antonini,
Dirigent

  • Besetzungsliste Orchester

    1. Violine Yuki Kasai, Valentina Giusti, Ewa Miribung, Elisabeth Kohler, Irmgard Zavelberg, Tamás Vásárhelyi
    2. Violine Anna Faber, Matthias Müller, Fanny Tschanz, Regula Keller, Mirjam Steymans-Brenner
    Viola Mariana Doughty, Bodo Friedrich, Renée Straub, Anna Pfister
    Cello Christoph Dangel, Georg Dettweiler, Hristo Kouzmanov
    Kontrabass Stefan Preyer, Daniel Szomor
    Flöte Isabelle Schnöller
    Horn Konstantin Timokhine, Mark Gebhart, Lars Magnus, Andreas Kamber
    Oboe Emiliano Rodolfi, Thomas Meraner
    Fagott Carles Cristobal Ferran, Letizia Viola

Biografien

Kammerorchester Basel
Orchester

Kammerorchester Basel

Orchester

Das Kammerorchester Basel ist fest in Basel verankert – mit den beiden Abonnements-Reihen im Stadtcasino Basel sowie in dem eigenen Proben- und Aufführungsort Don Bosco Basel. Weltweit und mit mehr als 60 Konzerten pro Saison ist das Kammerorchester Basel auf Tourneen unterwegs, an internationalen Festivals und in den wichtigsten europäischen Konzertsälen stets gerngesehener Gast.

2019 als erstes Orchester mit einem Schweizer Musikpreis geehrt, zeichnen das Kammerorchester Basel Exzellenz und Vielseitigkeit sowie Tiefgang und Durchhaltevermögen aus. Es taucht mit seinen Interpretationen tief in die jeweiligen thematischen und kompositorischen Welten ein: in der Vergangenheit mit dem «Basler Beethoven» oder mit Heinz Holliger und unserem «Schubert-Zyklus». Oder wie mit dem Langzeitprojekt Haydn2032, der Einspielung und Aufführung aller Sinfonien von Joseph Haydn bis ins Jahr 2032 unter der Leitung von Principal Guest Conductor Giovanni Antonini und gemeinsam mit dem Ensemble Il Giardino Armonico. Ab der laufenden Saison hat sich das Kammerorchester Basel vorgenommen, sich unter der Leitung des Alte-Musik-Spezialisten Philippe Herreweghe allen Sinfonien von Felix Mendelssohn Bartholdy zu widmen.

Mit ausgewählten Solistinnen und Solisten wie Maria João Pires, Jan Lisiecki, Isabelle Faust oder Christian Gerhaher arbeitet das Kammerorchester Basel immer wieder gerne zusammen. Unter der künstlerischen Leitung der KonzertmeisterInnen sowie unter der Stabführung ausgewählter Dirigenten wie u.a. Heinz Holliger, René Jacobs oder Pierre Bleuse präsentiert das Kammerorchester Basel sein breites Repertoire.

Die Konzertprogramme sind so vielfältig wie die 47 Musikerinnen und Musiker und reichen von Alter Musik auf historischen Instrumenten über historisch informierte Interpretationen bis hin zu zeitgenössischer Musik.

Ein Herzstück der Arbeit bildet die zukunftsweisende Vermittlungsarbeit bei partizipativen Grossprojekten im kreativen Austausch mit Kindern und Jugendlichen.
Eine umfangreiche, vielfach preisgekrönte Diskografie dokumentiert das künstlerische Schaffen des Kammerorchester Basel.

Seit 2019 ist die Clariant Foundation Presenting Sponsor des Kammerorchester Basel.

kammerorchesterbasel.ch

Giovanni Antonini
Dirigent

Giovanni Antonini

Dirigent

Der gebürtige Mailänder Giovanni Antonini studierte an der Civica Scuola di Musica und am Zentrum für alte Musik in Genf. Er ist Mitbegründer des Barockensembles Il Giardino Armonico, dessen Leitung er seit 1989 innehat. Mit dem Ensemble trat er als Dirigent und als Solist für Block-und Traversflöte in Europa, den Vereinigten Staaten, Kanada, Südamerika, Australien, Japan und Malaysia auf. Er ist künstlerischer Leiter des Wratislavia Cantans Festival in Polen und Erster Gastdirigent des Mozarteum Orchesters und des Kammerorchesters Basel.
Antonini hat bereits mit vielen namhaften Künstlern zusammengearbeitet, darunter Cecilia Bartoli, Isabelle Faust, Viktoria Mullova, Giuliano Carmignola, Giovanni Sollima, Sol Gabetta, Sumi Jo, Emmanuel Pahud, Katia und Marielle Labèque sowie Kristian Bezuidenhout.
Dank seiner erfolgreichen Arbeit ist Antonini gefragter Gastdirigent bei vielen führenden Orchestern. So gastiert er etwa regelmässig bei den Berliner Philharmonikern, dem Concertgebouworkest Amsterdam, dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Mozarteumorchester Salzburg, dem Leipziger Gewandhausorchester, dem London Symphony Orchestra, dem Chicago Symphony Orchestra und dem Kammerorchester Basel.
Zu seinen Opernproduktionen gehören Händels «Giulio Cesare» und Bellinis «Norma» mit Cecilia Bartoli bei den Salzburger Festspielen. Im Jahr 2018 dirigierte er «Orlando» am Theater an der Wien und kehrte für Idomeneo an das Opernhaus Zürich zurück. In der Saison 21/22 wird er als Gastdirigent das Konzerthausorchester Berlin, Stavanger Symphony, Anima Eterna Bruges und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks dirigieren. Außerdem wird er Cavalieris Oper «Rappresentatione di Anima, et di Corpo» für das Theater an der Wien und eine Ballettproduktion von Haydns «Die Jahreszeiten» für das Wiener Staatsballett mit den Wiener Philharmonikern dirigieren. 

Mit Il Giardino Armonico hat Giovanni zahlreiche CDs mit Instrumentalwerken von Vivaldi, J.S. Bach (Brandenburgische Konzerte), Biber und Locke für Teldec aufgenommen. Mit Naïve nahm er Vivaldis Oper «Ottone in Villa» auf, und mit Il Giardino Armonico für Decca spielte er «Alleluia» mit Julia Lezhneva und «La morte della Ragione» ein, Sammlungen von Instrumentalmusik des 16. und 17. Jahrhunderts. Mit dem Kammerorchester Basel hat er die gesamten Beethoven-Sinfonien für Sony Classical aufgenommen und mit Emmanuel Pahud für Warner Classics eine CD mit Flötenkonzerten unter dem Titel «Revolution». Im Jahr 2013 dirigierte er eine Aufnahme von Bellinis «Norma» für Decca in Zusammenarbeit mit dem Orchestra La Scintilla.

Antonini ist künstlerischer Leiter des Projekts Haydn 2032, mit dem die Vision verwirklicht werden soll, bis zum 300. Jahrestag der Geburt des Komponisten sämtliche Sinfonien von Joseph Haydn aufzunehmen und mit Il Giardino Armonico und dem Kammerorchester Basel aufzuführen. Die ersten 12 Editionen sind beim Label Alpha Classics erschienen, jährlich sind zwei weitere Editionen geplant.

Videos

Sinfonie Nr. 19
Sinfonie Nr. 80
Sinfonie Nr. 81
J. M. Kraus: Sinfonie in c-Moll VB 142

Aufnahmen


VOL. 5 _L'HOMME DE GÉNIE

CD

Giovanni Antonini, Kammerorchester Basel
Sinfonien Nr. 19, Nr. 80, Nr. 81
J. M. Kraus: Sinfonie in c-Moll, VB 142


Erhältlich über:
Bider&Tanner, Basel
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VOL. 5 _L'HOMME DE GÉNIE

Vinyl-Schallplatte mit Buch (mit Download-Code CD)

Giovanni Antonini, Kammerorchester Basel
Sinfonien Nr. 19, Nr. 80, Nr. 81
J. M. Kraus: Sinfonie in c-Moll, VB 142
Essay "Mit 12 ins Streichquartett. Wieso ich einen Psychiater geheiratet habe." von Eva Gesine Baur


Erhältlich über:
Bider&Tanner, Basel
Joseph Haydn Stiftung, Basel

© Stuart Franklin / Magnum Photos

Biografie

Stuart Franklin
Fotograf, Magnum Photos

Stuart Franklin

Fotograf, Magnum Photos

Stuart Franklin wurde 1956 in Großbritannien geboren. Er studierte Fotografie und Film am West Surrey College of Art and Design und Geografie an der University of Oxford (BA und PhD). In den 1980er Jahren arbeitete er als Korrespondent für Sygma Agence Presse in Paris bevor er 1985 Magnum Photos beitrat. 
Franklin war von 2006-2009 Präsident von Magnum Photos.

Franklins Fotografie "Tank Man" (China 1989) wurde mit einem World Press Photo Award ausgezeichnet. Seit 2004 fokussiert er sich auf Langzeitprojekte, die sich hauptsächlich auf Mensch und Umwelt konzentrieren.

Mit zwölf wollte ich alles Mögliche werden. Nur nicht das, was ich mit zwölf wurde: Ein Außenseiter.

Es ging ganz schnell. Ich sagte nur ab bei einer Geburtstagsparty.

Hast was Besseres vor, was?

Ich gehe ins Konzert.

Mireille Matthieu? Daliah Lavi? Simon & Garfunkel? Vicky Leandros? Rollings Stones? Reinhard Mey?

Nein, «Amadeus»-Quartett.

Kenn ich nicht. Sowas wie Abba?
Nein, das ist ein Streichquartett.

Was?

Zwei Geiger, ein Bratscher, ein Cellist.

Sag mal,  spinnst du?

Das erfuhren alle.
Bis dahin war ich Klassensprecherin. Danach nicht mehr.

Dabei hatte ich gedacht, klassische Musik sei etwas, worüber sich niemand aufregt.

Ausschnitt aus dem Essay «Mit 12 ins Streichquartett. Warum ich einen Psychiater geheiratet habe.» von Eva Gesine Baur


Der Essay «Mit 12 ins Streichquartett. Warum ich einen Psychiater geheiratet habe.» von Eva Gesine Baur ist in der Schallplatten-Edition Vol. 5 erschienen.

Biografie

Eva Gesine Baur
Autorin